Posttraumatisches Stresssyndrom

23April2019

Hey ihr, 

wie ihr sicher bemerkt habt, gab es die letzten Tagen kein Blog. Grund war, dass ich hier erst bisschen verarbeiten musste, was ich hier erleben.

Bis Samstag waren wir noch im Ferienhaus in Crestline. Das Wetter war wirklich eisig, das Thermometer kletterte gerade mal auf 7 Grad. Daher war einkuscheln vor dem Kamin angesagt. Das fand ich aber auch toll. Kopfhörer auf, Musik an, Kindle auf Dauerbetrieb und abtauchen in meine eigene Welt. Freitag waren wir noch am Lake Arrowhead, dem Nachbarsee. Im Gegensatz zu Crestline geht es hier etwas elitärer zu. Die Häuser sind auch echt riesig, mega die Mansions direkt am See. Aber unter 900.000 Dollar geht hier auch leider nix...

Am Samstag gab es noch ein Badeenten-Rennen, der erste Preis sind immerhin 1000 Dollar. Trotz des eisigen Wetters hat sich eine kleine Menschentraube am Seeufer gebildet und der Wind trägt immer wieder Jubel- und Anfeuerungsrufe zu uns hinauf. Ich beobachte das Rennen von meinem bequemen Sessel im Warmen aus. Der Wind drückt immer wieder Nebelschwaden über die Berge in den See... wunderschön. Am späten Abend geht es zurück nach Buena Park. Es ist bereits dunkel als wir den Berg umrunden und wir fahren in einen riesiges Lichtermeer, San Bernadino. Sonntagmorgen gehen wir dann als erstes ins Pflegeheim, dort feiern Christina und Heinz immer einen Gottesdienst mit den Bewohnern (Insassen trifft es leider eher, 90 Prozent sind geistig komplett weg). Christina entpuppt sich als kleine Rampensau, sie hat die Meute voll im Griff. Viele Schicksale gehen mir so nah, dass ich mit den Tränen kämpfen muss. Zum Beispiel Vicky, die mit 24 Jahren ein Autounfall hatte und seit dem im Rollstuhl sitzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade ihren Collegeabschluss in der Tasche und ein Leben voller Möglichkeiten war vor ihr ausgebreitet. Seit diesem Unfall, vor über 40 Jahren lebt sie in diesem Pflegeheim, unfähig zu gehen, zu sprechen, ein normales Leben zu führen. In ihrem Blick liegt so viel Intelligenz, sie lächelt mich wissend an. Ich muss hier raus, das geht mir zu Nahe.

Danach geht es zur richtigen Kirche. Ich habe lange überlegt ob und wie ich das hier schreibe. Ich will nicht lügen, aber auch niemanden verletzten. Also bleibe ich bei meiner Wahrheit. Schon bei betreten der Kirche wird mir klar, dass das mit einer Kirche nur bedingt was zu tun hat. Eine riesige Leinwand ist hinter dem "Altar" angebracht, Instrumente sind auf der Bühne verteilt. Die 10 köpfige Band ist echt gut, die Musik verdammt laut. Gespielt werden modern anmutende "Jesus liebt mich" - "Songs. Es wird getanzt. Ich lasse mich mitreißen und klatsche euphorisch mit. Außerdem sitzen wir in der ersten Reihe, da muss man ja irgendwie mitmachen, oder? Dann kommt der Pastor. Seine Predigt ist... ähm... keine Ahnung. Es geht einzig um Jesus, den Erlöser. Mit einer Predigt, wie ich sie aus unserer Kirche kenne, hat das hier aber nicht mehr viel gemeinsam. Aber okay, ich lass mich drauf ein. Der Pastor ist ein guter Motivationsredner! Ein "Amen" oder ein "Hallelujah" ertönt von allen Seite. Der Pastor ist auf Höchstform, mit der Stimme eines Stadionsprechers, der den Heimsieg des Teams verkündet, fordert er uns auf Jesus in unser Herz zu lassen. Bei mir macht es klick und ich erleide eine plötzliche Reizüberflutung: Ich bin hier fremd, alles ist mir fremd. Jetzt in dieser Sekunde, überwältigt mich das Heimweh nach dem Vertrauten. Ich kämpfe mit den Tränen. Ehe ich kapiere was los ist, werde ich auf die Bühne gezerrt. Die versammelte Gemeinde betet jetzt für mein Seelenheil und ich werde beschworen, Jesus in mein Leben zu lassen. Ich kämpfe immer noch mit den Tränen, verliere aber. Nicht aus Rührung oder Gottesfürchtigkeit, sondern weil ich so so wütend bin. Das hier, das bin nicht ich. Niemand ist meine Erlösung und überhaupt: Vor was muss ich denn gerettet werden? In diesem Moment wird mir so deutlich bewusst, dass ich durch und durch Humanist bin: Alles was ich kann oder bin, geht einzig von mir selbst aus. Cogiti ergo sum. Vielleicht hatte Gott noch seine Finger im Spiel, aber sicher nicht Jesus. Überfordert und verärgert mit der Situation geht es zum Familienessen. Michelle (meine Stief-Groß-Groß-Cousine) spürt, dass ich bisschen am Ende bin und rettet mich. Sie entführt mich nach dem Essen und wir düsen nach Hollywood. Es tut gut so den Kopf freizukriegen. Ich genieße die Skyline von Downtown LA und rasch werden noch paar Selfies mit dem Hollywood-Sign gemacht. Danach düsen wir noch zum LA Museum of Modern Art. Dort gibt es eine supercoole Lampeninstallation. Selfie-Time. Danach geht's noch in den "The Last Bookstore", halb Buchladen, halb Kunsthalle veredelt mit etwas Hipstertum. Aber ich liebe es. Michelle liefert mich wieder ab und ein ereignisreicher Tag geht zu Ende. Gestern waren wir am Huntington Beach und haben den Surfern zugeschaut. Opa nervte uns alle so lange, bis wir mit ihm zu Knotts Berry Farm fahren, einem Vergnügenspark direkt in der Nachbarschaft. Opa schwört, dass es dort das beste Eis auf dem Planeten gab. Aha. Dort angekommen, trifft uns fast der Schlag: eine Kugel kostet 7 Dollar. Aber Opa lässt nicht locker. Schon als die Verkäuferin das Eis aus der Verpackung kratzt, wissen wir, dass das unmöglich schmecken kann. Das Eis ist hart und ekelhaft klebrig. Und nicht mal homemade, sondern vergleichbar mit Langnese. Als wir Opa alle gemeinschaftlich etwas haten, kommt raus, dass er das letzte Mal vor 35 Jahren hier war. Oh no ?

Wir besorgen uns bei Stater Brothers noch ein richtiges Eis und ich falle ins Bett. 

Jetzt steht erst mal packen aufm Programm. Hoffentlich krieg ich alles unter... 

Xoxo